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Urplauer

Düwahl Zeichnung
Jahrbücher des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde
Karteikarte Landesmuseum

1846, zehn Jahre bevor im Neandertal Skelettreste in einer Höhle oberhalb der Düssel die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Welt auf sich zogen, wurde beim Sandabbau am Plauer Klüschenberg ein menschliches Skelett entdeckt, dass es zur damaligen Zeit in der Forschungsgemeinschaft zu einigem Ruhm gebracht hatte, bis heute jedoch hier in Plau kaum weitere Beachtung fand - der ‚Urplauer’. Mit dem folgendem Beitrag auf unserer Web-Seite möchten wir dies ändern und gleichzeitig an den bisher ältesten Plauer (Besucher oder Bewohner) an dessen Auffindungsort erinnern.

Eine mögliche Fundgeschichte des ‚Urplauers‘:

Während ein Arbeiter beim Sandschippen am Hang des Klüschenberges plötzlich auf etwas Hartes stieß, war dies zunächst nicht ungewöhnlich. Doch als schließlich der Rest eines Schädel den Hang hinunterrollt, ist der Schrecken groß…das konnte nur ein Werk des Teufels sein. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgen die umstehenden Arbeiter die weitere ‚Ausgrabung‘, bei der ein Gerippe zu Tage kommt, das in seitlicher Lage mit angewinkelten Armen und  Beinen begraben wurde.  Doch nicht nur ein Skelett, sondern auch Zähne von Hirsch und Wildschwein, sowie ein durchbohrter Stein, der aussah wie eine Axt kamen zum Vorschein. Voller Grausen zerschlagen die Arbeiter das sich Ihnen bietende Bild und schaufeln die einzelnen Knochen den Hang herunter, während sie das schmückende Beiwerk staunend begutachten. Nach Feierabend berichten sie dem Chausseebaumeister Mühlenpfort von diesem gruseligen Fund und übergeben ihm Axt und Tierschmuck, der damit seine Frau am Abend überrascht. Da diese jedoch schon so einige Geschichten von originellen Funden ihres ‚Chausseebaumeisters‘ gehört hatte, verwies sie ihn gleich an den ‚archäologisch‘ forschenden Pastor in Vietlübbe, der sich sicher dafür interessieren würde. Schließlich hatten sie schon so oft ‚Fundmeldungen’ bei ihm gemacht, oder auch die Schätze gezeigt, die beim Abbau der Steinhügel auf den Feldern der Umgebung zu Tage traten. Denn für den Straßenbau wurde nicht nur Sand benötigt sondern vor allem Steine und die waren nicht nur auf den Feldern Mecklenburgs reich gesät, sondern schon seit der ‚Steinzeit’ für unterschiedliche Zwecke verwendet worden. So auch für die Errichtung von Grab-Bauten, die uns durch frei stehende Großstein- (Dolmen- bzw. Hünen-)gräber oder als mit Steinen aufgehäufte Hügelgräber bekannt sind. Diese auffallenden Gebilde in der Landschaft weckten schon früh das Interesse und die Phantasie der Menschen - vor allem in den steinreichen Gebieten der letzten Eiszeit von Brandenburg bis nach Dänemark. So ist es nicht verwunderlich, dass in einigen dieser Gräber bereits schon früh nach Schätzen gesucht wurde und sich viele Sagen und Märchen der Umgebung darum rankten. Da das Land jedoch meist einem Großgrundbesitzer gehörte, hatte er auch das Recht, den gefundenen Schatz als seinen Besitz zu erklären. Über den genauen Ursprung dieser Funde konnte man sich nur bei den damaligen ‚Schriftgelehrten’ an den Universitäten des Landes informieren.  Diese waren lange Zeit nur auf schriftliche Überlieferungen der Griechen und Römer angewiesen…und vor allem auf die Bibel, dem Geschichtsbuch der christlichen Welt. So ist es nicht verwunderlich, dass sich Pastoren auch für Funde interessieren, die dieses Geschichtsbuch anschaulich machen könnte.

Frau Mühlenpfort begab sich also auf den Weg zu Pastor Ritter nach Vietlübbe, um ihm die Funde vom Klüschenberg zu übergeben. Allerdings war sie noch einmal am Fundort, um wenigstens den Schädel als Beweis und Trophäe mit überreichen zu können. Die Arbeiter hatten die Knochen jedoch schon wieder vergraben und schaufelten diese nun widerwillig wieder frei.

So oder so ähnlich gelangten die meisten Teile des zerbrochenen ‚Urplauers‘ zunächst von Plau ins Pfarrhaus von Pastor Ritter nach Vietlübbe.

Originaltext zum Fund im Jahrbuch des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde, Band 12, 1847, Seite 400
Reallexikon der Vorgeschichte, Berlin 1927/28
Junge Archäologen bei der Recherche in Wiligrad

Johann Gottfried Christian Ritter wurde 1799 in Schwerin geboren und trat 1843 die Pastorenstelle in Vietlübbe an. Er interessierte sich sehr für Heimatgeschichte und war aktiv im Verein für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, an den er unzählige Aufsätze und Meldungen über Hügel- bzw. ‚Kegelgräber‘ übermittelte. So schrieb er im Juli 1843:

 

„Nach der Ernte werde ich die Chausseelinie von Plau bis zur Grenze bei Wendisch Priborn in Rücksicht auf die Gräber untersuchen und überhaupt ein wachsames Auge darauf haben.“

 

Kein Zufall also, dass der Fund bei Chausseebauarbeiten in Plau ihm als Mitglied des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde gemeldet wird. Leider erscheint die ‚Plauer Zeitung‘ erstmalig im Jahr 1849, sonst hätten wir sicher auch hier nähere Informationen über die Fundumstände erfahren. Immerhin erschien 1847, also rund zwei Jahre nach Auffindung zum ersten Mal ein Artikel über den ‚Urplauer‘  in den 'Jahrbüchern des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde', vom Begründer der Vorgeschichte in Mecklenburg höchstpersönlich, der die Bedeutung des Fundes würdigt:

Lisch 1847 JB VMG Band 12 S400
Tafel 45 Reallexikon Vorgeschichte 1927 Ausschnit

Georg Christian Friedrich Lisch (1801-1883), einer der wichtigsten deutschen Archäologen des  19.Jahrhunderts, wurde 1834 zum Landesarchivar im Auftrag des Großherzogs von Mecklenburg berufen und war ein Jahr später Mitbegründer des bereits mehrfach erwähnten Vereins. Sein intensives Wirken wurde auch weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt als er 1839 mit seiner Studie zum Dreiperiodensystem (Steinzeit - Bronzezeit - Eisenzeit) der Archäologie als Wissenschaft zum Durchbruch verhilft.

Mit dem Auffindens des ‚Urplauers‘ 1845 galt es nun tiefer in die Vorgeschichte vorzudringen, als es die gerade erst eingeführte Einteilung der frühen Menschheitsepochen erlaubte. Mit dem Begriff vom ‚Autochthonen-Volke‘, das der ‚Steinperiode voraufgeht‘ (s.o.), versucht er eine Menschen-Spezies zu fassen, die weder in Großstein- oder Kegelgräbern zu finden war, noch eine Erd- oder Feuerbestattung erfahren hatte. Diese Form der Beisetzung  (in hockender Stellung) stellte eine Ausnahme in der damaligen Forschungsgeschichte dar und suchte nun weltweit nach vergleichbaren Funden, sowohl in der Art der Bestattung, als auch in der Schädelform. Die Beurteilung der Schädelform wollte er jedoch ‚tieferblickenden‘ Forschern überlassen und fand in Hermann Schaffhausen (1816-1893) einen dankbaren Anthropologen, der 1857 auf der 33. Versammlung deutscher Ärzte und Naturforscher über "die Entwicklung des Menschengeschlechts und die Bildungsfähigkeit seiner Rassen“ referierte. Grundlage dafür waren nicht nur die von ihm untersuchten Skelettreste aus dem Neandertal, sondern auch die ihm von Lisch auf Nachfrage zugesandten 22 Bruchstücke des ‚Urplauers‘.

Schaaffhausen 1857
Schaaffhausen 2 1857